Ich fand endlich einen neuen Beruf

Bootsbauer wollte er sein und bleiben. Dafür ertrug Herr S. (39) viele Jahre schlimme Schmerzen. Dann zwang ihn eine Operation, den geliebten Beruf aufzugeben. Die Band-Genossenschaft unterstützte Herrn S., einen neuen Weg einzuschlagen. Das brauchte Zeit. Jetzt fertigt Herr S. Schuhe statt Boote.

 

Boote bauen aus Leidenschaft

«Nichts am Boot ist gerade. Es gibt unzählige Holz- und Kunststoffarbeiten. Auch grobe Arbeiten wie das Verschieben und Heben der Boote mit Traktor oder anderen Maschinen gehören dazu. Ein Bootsbauer beherrscht Tätigkeiten von rund einem Dutzend verschiedener Berufe.»

Als Bub baute sich Herr S. ein ferngesteuertes Modellboot. Dass sein Werklehrer ihm davon abriet, hielt ihn nicht auf. Seine Leidenschaft für Boote war entfacht. Am Thunersee fand er nach der Schule einen Ausbildungsplatz und lernte Bootsbauer. Gleich 15 Jahre verblieb er im Lehrbetrieb, baute Yachten für Kunden aus der Schweiz und dem Ausland. Herr S. faszinierte die Arbeit mit vielen Formen und Materialien von Beginn weg. Der Alltag als Bootsbauer ist abwechslungsreich und die Aufgaben anspruchsvoll. Mindestens 2‘000 Arbeitsstunden stecken in einer fertigen Yacht. Später wechselte Herr S. den Betrieb und spezialisierte sich während Jahren aufs Restaurieren und Unterhalten von Booten.

Das Knie macht Probleme

«Ich wusste seit Jahren, dass der Tag kommt, wo ich aufhören muss. Dagegen habe ich mich gesträubt. Ich wollte meine Leidenschaft, den Bootsbau, nicht aufgeben. Bis ich nicht mehr anders konnte.»

Herr S. arbeitet jahrelang unter grossen Schmerzen. Zuerst ignorierte er die Knieprobleme. Am Ende war eine Operation wegen der schweren Arthrose und der fehlerhaften Kniestellung unumgänglich. Der Eingriff machte Herrn S. ein Jahr lang arbeitsunfähig. Nebst den physischen Schmerzen machte ihm auch anderes zu schaffen. Denn als verheirateter Vater von zwei Kindern hatte er Verantwortung zu tragen. Die Rechnungen flatterten weiterhin ins Haus. Die Invalidenversicherung (IV) schaltete sich ein. Aber auch Fragen nach der Sinnhaftigkeit des Lebens ohne Traumberuf tauchten auf und zogen Herrn S. in ein grosses Loch.

Was kommt jetzt?

«Ich wusste, ich muss mich beruflich neu orientieren. Dafür brauchte ich viel Zeit und Unterstützung. Es war für mich sehr schwierig.»

Es folgte ein Jahr mit Arbeitsversuchen beim ehemaligen Arbeitgeber. Dieser unterstützte Herrn S. jahrelang sehr stark. Trotzdem wurde deutlich, dass ein Wechsel des Berufes unumgänglich war. Dank der vorhandenen, abgeschlossenen Berufslehre hatte Herr S. gegenüber der IV Anspruch auf eine Umschulung in einen gleichwertigen Beruf. Herr S. wusste aber nach wie vor nicht, wo und wie er – ausser als Bootsbauer – Fuss im Arbeitsleben fassen sollte.

Hier kam die Band-Genossenschaft ins Spiel. Bei der Band wurde Herr S. persönlich begleitet in seinem Prozess der Neuorientierung. Die regelmässigen Gespräche mit der Fachperson Berufliche Integration halfen Herrn S., Kompromisse einzugehen und sich für andere Berufe als den des Bootsbauers zu öffnen. Wichtig war der Fokus auf Stärken und Fähigkeiten – also auf das, was noch ging.

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Band zeigt Möglichkeiten auf

«Bei der Band-Genossenschaft konnte ich verschiedene Berufsfelder kennen lernen. Ich habe gemerkt, welche Berufe mir zusagen und wo ich körperlich an meine Grenzen stosse. Ich konnte endlich berufliche Perspektiven aufbauen.»

Herrn S. reizte es, die Arbeit als Orthopädie-Schuhmacher kennen zu lernen. Während einer beruflichen Abklärungsmassnahme bei der Band-Genossenschaft konnte ein Einblick in einen Orthopädie-Betrieb organisiert werden. Während der Schnupperzeit stellte Herr S. fest, dass die Herstellung von Orthopädie-Schuhwerk durchaus Parallelen zum Bootsbau aufweist. Beides braucht handwerkliches Geschick, profunde Kenntnisse von Materialien und Herstellungsweisen und das dreidimensionale Denken in verschiedenen Formen. Die Sinnhaftigkeit der Aufgabe, mit einem Produkt jemandem den Alltag zu erleichtern, motivierte Herrn S. auch aufgrund seiner eigenen Erfahrungen mit körperlichen Einschränkungen.

 

Die Band-Genossenschaft beriet ihn bei der Abklärung im Hinblick auf eine Vorlehre als Orthopädie-Schuhmacher. Dann half die Band mit, ein passendes Berufsumfeld zu finden. Dazu gehörte beispielsweise das Unterstützen im Bewerbungsprozess. In einem kleinen Orthopädie-Familienbetrieb, welcher Herr S. aufgrund seiner Struktur und Werte, aber auch aufgrund der geografischen Erreichbarkeit zusagte, fand sich ein Ausbildungsplatz mit Aussicht auf eine anschliessende Lehre. Die Band-Genossenschaft kümmerte sich um die administrativen Belange und nahm Rücksprache mit den involvierten Personen. Die IV sichert mit dem Krankentaggeld die finanzielle Situation während der mehrjährigen Ausbildungsphase.

Lernen zu lernen: Wiedereinstieg ins duale Berufsbildungssystem

«Wieder zur Schule zu gehen, für den Abschluss einer neuen Ausbildung, war mir ein Graus. Ich habe Schwierigkeiten, mich zu konzentrieren. Bei der Band-Genossenschaft hatte ich jedoch ein grosses Erfolgserlebnis. Mir wurde klar: Ich kann es schaffen!»

Die Band-Genossenschaft ermittelte das schulische Niveau von Herrn S., zeigte Aufholbedarf und Potential auf. Der Prozess gab Herrn S. neues Selbstvertrauen. Ihm wurde klar, dass durch gezielte Unterstützung beim Lernen ein erneuter Schulabschluss möglich ist. Parallel zur Vorlehre im Orthopädie-Betrieb besucht Herr S. jetzt an einem Tag pro Woche die interne Berufsfachschule der Band. Hier erhält er die Chance, sich wieder an einen Schulalltag zu gewöhnen, übt Lernstrategien ein und vernetzt sich mit anderen Lernenden. Er ist zuversichtlich, dass er in drei bis vier Jahren den neuen Berufsabschluss schafft – auch wenn er bis dahin noch viel Energie, Ausdauer und Geduld benötigt.

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